Nikotin-Pandemie

10.03.2022 15:39
#1
Na

Vorwort

Wie bereits angekündigt, habe ich mich mal am Schreiben einer Geschichte versucht. Ich versuche dabei ein paar neue Akzente zu setzen, zwar vordergründig eine sehr klassische Story zu erzählen, dabei aber doch das ein oder andere Klischee bewusst nicht zu bedienen und auch ein wenig Humor einfließen zu lassen. Dazu kommt das sehr aktuelle Setting - es wundert mich, dass die Pandemie in aktueller Fiktion häufig totgeschwiegen wird, dabei bietet sie doch viele erzählerische Möglichkeiten. Ich bin gespannt auf eure Reaktionen, ich könnte mir vorstellen, dass gerade der humorige Teil nicht jedermanns Sache ist, das ist halt Geschmackssache.
Ich werde je nach Zeit und Lust alle 1-2 Tage ein neues Kapitel veröffentlichen, hier erst mal das erste.

Viel Spaß
Euer Nachwuchsraucher


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10.03.2022 15:40 (zuletzt bearbeitet: 10.03.2022 15:41)
#2
Na

Kapitel 1: Silvester bei Familie Kuhn
Es war ein Silvesterabend, wie ihn keiner der drei je erlebt hatte. Keine Gäste, kein Feuerwerk, nur sie drei allein im Wohnzimmer. In einem anderen Jahr hätte sich Birgit das vielleicht sogar gewünscht, mal ein entspannter Jahresausklang, einfach als Familie, nicht nach den anstrengenden Weihnachtsbesuchen schon wieder Gäste empfangen. Und mit Blick auf die Familienhündin Lucy war ihr auch der Gedanke ganz sympathisch, dass es diesmal hoffentlich weniger Geböller geben würde, auch wenn sie wusste, wie viel Spaß ihr Mann und ihre Tochter damit hatten. Verkatert vor dem Schlafen gehen am Neujahrsmorgen noch die Pfütze wegzuwischen, die das verängstigte Tier unter ihrem Bett hinterlassen hatte, war nicht gerade die angenehmste Art ein Jahr zu beginnen. Doch nach den letzten Monaten hätte sie sich jede Gesellschaft gewünscht, die man sich nur vorstellen kann. Und die Reste dieses verflixten Jahr mit ordentlich Wumms in den Himmel zu schießen, erschien auch sehr verlockend. Immerhin konnte es ab jetzt nur aufwärts gehen.
Meine Leser ahnen bereits am Ende welchen Jahres wir Familie Kuhn kennenlernen, natürlich das leider unvergessliche erste Pandemiejahr 2020. Was Birgits gute Hoffnungen für das Jahr 2021 angeht, nun ja, wir wollen sie nicht desillusionieren…
Die drei machten das beste aus der Situation, es gab Raclette, Jochen Kuhn hatte einen guten Wein aufgemacht und auch Champagner kaltgestellt, mit dem um Mitternacht angestoßen werden sollte. Dinner for one wurde natürlich auch geschaut, wenigstens eine Konstante. Nachdem sie mehr als satt waren, zogen sich die beiden Eltern auf den Balkon zurück um eine Zigarette zu rauchen.
„Na, hörst du nächstes Jahr wieder mit dem Rauchen auf?“, fragte Jochen seine Frau ein bisschen spöttisch.
„Ja und dieses Mal ziehe ich es auch wirklich durch. Vielleicht solltest du dich mir anschließen, gemeinsam wäre es einfacher.“
Jochen lachte nur und nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette. The same procedure as every year. Noch so eine Konstante.
„Ich meine das ernst. Wir werden nicht jünger. Und Raucher gehören zur Corona-Risikogruppe. Das hat mir schon zu denken gegeben.“
„Warum hast du dann nicht schon im März aufgehört, als Corona zu uns kam? Du musst mit sowas ja nicht zum Jahreswechsel warten.“
Da hatte er einen Punkt, das musste sich Birgit zugestehen. Sie hatte im ersten Lockdown eher noch mehr geraucht als zuvor. Die ganze Ungewissheit, dazu konnte sie zeitweise im Homeoffice arbeiten und häufigere Zigarettenpausen machen. Inzwischen war sie aber wieder zurück bei ihrer üblichen Dosis von 20 Zigaretten am Tag.
Anders als Birgit stand Jochen zu seinem Konsum. Er konnte sich ein Leben ohne seine 1 ½ Schachteln Marlboro täglich einfach nicht vorstellen. Obwohl er natürlich wusste, dass er süchtig war, sah er sich auch als Genussraucher. Natürlich gab es Situationen, wo er hektisch eine Zigarette rauchte, um schnell seinen Nikotinspiegel aufzufüllen. Aber für die meisten Zigaretten nahm er sich Zeit, zelebrierte sie als kleine Auszeit vom stressigen Berufsalltag oder genoss es – wie in diesem Moment – nach einem guten Essen noch den Rauch von ein, eher zwei Zigaretten zu inhalieren.
„Gerade weil dein Vater an Lungenkrebs gestorben ist, kann ich nicht nachvollziehen, dass du so tiefenentspannt weiterrauchst, ohne je ans Aufhören zu denken.“
Jochen rollte genervt mit den Augen, während er sich eine zweite Zigarette anzündete. Immer diese alte Leier.
„Das kann man überhaupt nicht vergleichen. Mein Vater war absoluter Kettenraucher, er hat sicher vier oder fünf Schachteln am Tag geraucht. Ich kann mich an kaum einen Moment erinnern, wo er nicht entweder am Rauchen oder beim Anzünden einer neuen Zigarette war. Selbst nachts ist er mehrmals aufgewacht, um zu rauchen. Da bin ich im Vergleich dazu fast Nichtraucher.“
„Nur weil dein Vater mehr geraucht hat als du, heißt das nicht, dass dir nichts passieren kann. Wäre doch schön, wenn du im Vergleich zu ihm auch noch mitbekommst, ob du Großvater wirst.“
„Mein Vater hat fast 40 Jahre lang geraucht, und dreimal so viel wie ich. Ich habe mit 14 angefangen, 3 mal 40 ist 120, das heißt ich kann 134 Jahre alt werden, wenn ich weiterrauche. Das reicht nicht nur um Enkel zu sehen, sondern auch noch ein paar Generationen weiter.“
Jetzt musste Birgit lachen. „Ja, ja, man kann sich alles schönrechnen.“
„Denkst du, deine Kollegen schließen wieder Wetten ab, wie lange du es dieses Jahr durchhältst mit dem Aufhören?“
„Ach, komm, die haben doch nur ein schlechtes Gewissen, weil sie selbst es nicht mal versuchen.“
So ganz unrecht hatten aber weder ihr Ehepartner noch die Kollegen auf der Arbeit. Sie versuchte seit Jahren immer zum Jahresbeginn mit dem Rauchen aufzuhören – ganz offensichtlich ohne Erfolg. Wie soll schon Mark Twain geschrieben haben: „Mit dem Rauchen aufzuhören ist nicht schwierig, ich habe es schon hunderte Male geschafft.“ Die längste Phase ohne Zigaretten war die Schwangerschaft mit Alicia gewesen. Erst mehrere Monate nach der Geburt war sie dann doch rückfällig geworden.
Wenn sie geahnt hätte, dass eben diese Alicia, ihre inzwischen 17 Jahre alte Tochter gerade auch ans Rauchen dachte, während sie vom Sofa aus ihre Eltern auf dem Balkon beobachtete… Zum Glück konnte Birgit keine Gedanken lesen, ich glaube, sie wäre darüber nicht gerade glücklich gewesen.


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14.03.2022 21:05
#3
Ra

Sehr schöner Beginn. Danke.


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17.03.2022 07:17
avatar  jimmy
#4
ji

Guter Beginn, macht Lust auf mehr ;-)


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05.04.2022 10:39
avatar  Bulli
#5
Bu

Ja, liest sich gut und ist auch spannend geschrieben.


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24.04.2022 19:38
#6
avatar

Die Geschichte finde ich sehr gut geschrieben. Auch die Vortsetzung läßt sicher eine gewisse Spannung zu.


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14.12.2022 11:58
#7
Zi

Das erste Kapitel ist schon sehr gut geschrieben und die wenigen Zeilen waren leider sehr schnell aus gelesen. Nun sitze ich da und das Kopfkino beginnt zu arbeiten. Wie geht es bei Familie Kuhn wohl weiter an diesem Silvester Abend?
Großes Lob von meiner Seite.


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09.04.2023 19:10
#8
Ch

Gibt es noch eine Fortsetzung?


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