Studentin Isabel

18.06.2023 12:51
avatar  Malcolm
#1
Ma

Hallo,

vorweg, ich bin kein zu geübter Schreiber. Diese Story hier habe ich nach Inspiration durch über die Jahre gesammelte Geschichten geschrieben und möchte sie in der Runde Gleichgesinnter teilen... gerne Lob und/oder Kritik...

Isabel, 22, Medizinstudentin
„Was kann ich tun, damit dieser ekelige Gestank endlich mal aufhört?“, habe ich irgendwann eines Morgens vor mich hin geflüstert, als ich aus dem Bett stieg. Meine Mitbewohnerin Carina hatte mal wieder in der Küche geraucht und scheinbar kein Fenster geöffnet. Ich hasse Zigarettenrauch einfach wie die Pest. Schon als Kind rief ich „Bäh wie ekelig“ wenn in meiner Nähe geraucht wurde. Auch in meiner späteren Jugend habe ich nie einen ernsthaften Gedanken ans Rauchen verschwendet. Zugegeben: Irgendwann mit 16 oder 17 hatte ich mal eine Phase, in der ich mich fragte, ob ich es mal probieren soll – Neugier befriedigen, wissen, wie es ist und einen Haken dran machen. Aber das hätte ich nie in die Tat umgesetzt. Mit 22 Jahren hatte ich hier eine „reine Weste“.

Ich entschied mich nach dem Abi für ein Medizinstudium und reagierte daher „von Haus aus“ allergisch gegen Raucher und Zigarettengeruch.

Seit einem halben Jahr wohnte ich mit Carina zusammen. Wäre ich nur nie in eine WG mit einer Raucherin gezogen! Naiv wie ich war, und so dringend wie die Wohnungssuche war, entschied ich mich aber dafür, in der Hoffnung, ein intelligenter Mensch lässt das Rauchen bald sein. Carina war so eine Hübsche, studierte was gescheites und dann so eine hässliche Angewohnheit wie Rauchen. Es passte wirklich gar nicht zu ihr.

An diesem Morgen reichte es mir. Als sie aus der Küche raus war und der zuletzt ausgedrückte Stummel noch Rauch absonderte, nahm ich mir ihre Schachtel Zigaretten und schmiss sie in den Mülleimer unter der Spüle.

„Wo sind meine Zigaretten?“, fragte sie mich, als sie wieder kam. „Sicher in deiner Handtasche.“, meinte ich. „Nein, sie lagen eben noch da auf dem Tisch, also wo sind sie jetzt?“. Sie ließ nicht locker. „Na da, wo sie hin gehören. Unter der Spüle.“

Sie holte die Schachtel wieder raus, steckte sie ein, sah mich nicht mehr an und ging. Wir hatten beide Vorlesung und kamen erst später am Nachmittag nachhause. Um den kleinen Übergriff, für den ich mich moralisch nicht schämte, ein bisschen wieder gut zu machen, half ich ihr mit dem Einräumen der Einkäufe. Und dann ging’s wieder los: Dieses Mal wenigstens am Fenster steckte sie sich eine Zigarette an, behielt aber die Schachtel bei sich.

„Nicht, dass du die auch wieder weg wirfst.“, zischte sie mir zu und blies ihren Rauch in meine Richtung – kleine Retourkutsche? „Aber danke für deine Hilfe.“

Wir hatten wieder die Diskussion oder besser unser Streitgespräch: Dass ich den Geruch hasse. Dass ich doch wusste, in welche Wohnung ich ziehe, dass ich wusste, dass sie raucht. Aber auch, dass ich optimistisch war, dass sie's von selbst bald lassen würde. Ich sagte ihr – zum tausendsten Male - „es ist teuer, es ist ungesund, es ist sinnlos. Du kannst es aufhören. Lässt es bleiben, ganz einfach.“ Carina studierte Jura an einer guten Uni. Hatte Top-Noten. Aus ihr würde sicher eine hervorragende Anwältin, das war sicher. Das Rauchen war hier der einzige Makel, der die Vorbildfunktion zunichte machte...

Mit dem Wort „einfach“ hatte ich sie provoziert. „Du zündest dir die nächste einfach nicht an. Und dann die danach nicht. Und dann die danach und danach die. Und dann rauchst du einfach nicht mehr. Es haben doch Tausende vor dir geschafft und schaffen es jeden Tag.“

Ich könne da nicht mitreden, meinte sie. Als Nichtraucherin solle ich froh sein, es nicht zu kennen und somit nicht zu vermissen. Sonst wüsste ich, wie unglaublich schwer das sein kann. Und außerdem wolle sie nicht aufhören, weil es ihr gefiel. Ok, zugegeben, ich kannte Raucher, die waren weit schlimmer als sie. So ein richtiger Sucht-Raucher war sie irgendwie dann doch nicht. Aber genug, um mich zu nerven.

„Es braucht nur Disziplin und Willenskraft“, sagte ich ihr. Führte auf, was sie an Geld spart und für ihre Gesundheit tun würde. Carina bot mir daraufhin eine provokante Wette an. Wenn es so einfach wäre, mit dem Rauchen aufzuhören, dann soll ich ihr das beweisen: Drei Wochen lang solle ich zusammen mit ihr rauchen und es dann von jetzt auf gleich lassen. Sie versprach, dann selbst für immer aufzuhören, koste es was es wolle.

Ich war empört. Aber damit lag sie richtig, ich hatte nie in der Haut einer Raucherin gesteckt. Sollte ich mich darauf einlassen, selbst etwas zu tun, das ich seit meiner Kindheit verachtete? Mich selbst vergiften wenn auch sicher nur vorübergehend? Oder sollte ich sie in dem Glauben lassen, sie könne eben nicht anders und Raucher seien einfach dazu verdammt, weiter zu rauchen oder ein Leben lang auf etwas zu verzichten, das sie vorgeben zu mögen...?

So etwas bescheuertes konnte ja keiner ernst meinen, oder? Doch, Carina konnte. Nach einem aufgebrachten Wortgefecht, mit fast allem drum und dran – inkl. Türen zuknallen – ging ich am selben Tag nochmal auf sie zu: „Drei Wochen meinst du?“, fragte ich nochmal nach. „Ja, drei kurze Wochen.“, sagte sie.

„Ist gut. Machen wir's.“ - ich konnte selbst kurz darauf nicht glauben, was ich gerade gesagt hatte.

Aufgeregt und aufgewühlt wie ich immer war, verließ ich aber erstmal die Küche und ging in mein Zimmer. Ich hoffte irgendwie ich könne meine Zustimmung durch stilles Aussitzen widerrufen aber Carina hatte mich beim Wort genommen: Am selben Abend wollte sie mit der Wette beginnen. Ich sollte bei ihr Platz nehmen und ich fühlte mich im falschen Film.

„Hast du jemals vorher probiert?“, fragte sie mich. Hatte ich natürlich nicht. Was für eine Frage! „Selbstverständlich nicht, was denkst du denn...“
„Dann wird das jetzt dein erstes Mal, wie cool.“ Carina wollte nicht lange warten, ehe ich noch auf die Idee käme, die Wette doch wieder auszuschlagen.

Das erste Mal seit vielen Jahren wurde mir also eine Zigarettenschachtel hingehalten und dieses Mal „durfte“ ich nicht genervt ablehnen. „Nimm dir eine.“, sagte sie. Ich zog eine der Zigaretten heraus und sah mir das Ding vorn und hinten an. „Du weißt nicht wie herum?“, fragte mich Carina. Doch natürlich wusste ich das. Ich hatte es ja bei genügend dummen Mitschülern zuhauf beobachten können. Der wattierte Filter gehört zum Mund, also führte ich ihn da auch hin. Mir wurde noch einmal klar wie dämlich diese Idee war und ich nahm die Kippe nochmal beiseite.

„Versuch du doch stattdessen einfach mal einen Tag gar nicht zu rauchen“, appellierte ich an Carina. Ich hatte irgendwie doch Schiss, wollte mich noch herauswinden. Zitterte offen gesagt.
„Versuch du doch einfach mit dem Zigarettenrauch in der Wohnung auszukommen. Wenn du dir deiner Sache nicht sicher bist, lassen wir's mit der Wette. Ich rauche jetzt. Mit dir zusammen oder alleine und qualme dich voll.“

„Na gut, dann gib mir Feuer...“, sagte ich. Passierte das wirklich?

Das allererste Mal selbst so eine Zigarette zwischen den Lippen zu haben war ein beschämendes Gefühl, ich kam mir so dumm vor. Die nächsten Sekunden kamen mir wie Stunden vor. Sie setzte das Feuerzeug an: Die Zigarette glimmte vorn, also musste ich nun wohl das erste Mal dran ziehen... mein Mund füllte sich mit Rauch, der genauso ekelig schmeckte, wie ich ihn als Passivraucherin immer wahrnahm. Nein, es war schlimmer, intensiver. Es war so künstlich, bitter, einfach unbeschreiblich widerlich. Ich musste stark husten.

Carina versicherte mir, das sei beim ersten Mal ganz normal, aber wir würden es noch an diesem Abend schaffen, dass ich normal rauchen kann. Und in drei Wochen, ihre Worte, würde ich es nicht mehr lassen wollen. Völlig absurd, ausgeschlossen. Ich zog immer wieder mal sehr vorsichtig, aber mit Rauchen hatte das wohl nichts zu tun. Beim Auspusten, bzw. Aushusten kamen bestenfalls kleine Wölkchen, nicht die Rauchschwaden, die Carina ausblies.

Ich drückte die Kippe nach, keine Ahnung, vielleicht 5 Minuten entnervt aus. Mein Hals war trocken. Ich wollte gehen, aber Carina ließ mich noch nicht vom Haken und griff beherzt nach meiner Hand. „Wir üben es so lange, bis du es kannst, kneifen gilt jetzt nicht...“

Ich stand zu meinem Wort, ich wollte es ihr unbedingt zeigen. Ich ließ mir nochmal Feuer geben, ließ mich dieses Mal nicht vom Husten unterkriegen. Nicht vom Kratzen im Hals, nicht vom bitterlichen Geschmack, auch nicht von dem ersten recht ekeligen Nachgeschmack nach kaltem Rauch. Wieder zog ich unbeholfen an der Zigarette. Ich schaute Carina zu, wie sie natürlich gekonnter vorging. Diese zweite Kippe kostete mich sicher sieben Minuten, immer wieder zog ich ganz vorsichtig und drückte dieses Mal nicht vorschnell aus. Aber schwindelig war mir geworden.

„Trink erstmal einen Schluck“, sagte sie tröstend, als ich mit gequältem Blick da saß. Ich wollte alles, was irgendwie diesen fürchterlichen Geschmack kompensierte. Glas geleert, neues Wasser nach geschüttet.

„Wie kannst du sowas jeden Tag machen...“, stöhnte ich.

„Du machst es ja bisher nicht einmal richtig. Du fängst gerade erst an. Nach dieser hier machen wir erstmal Pause.“ Die dritte Zigarette wurde mir zugeschoben. „Muss das jetzt echt sein?“, wollte ich von ihr wissen.

„Die drei Wochen gelten für mich erst, wenn du dich eingewöhnt hast und richtig rauchst. Diese eine noch, dann gebe ich dir etwas Pause. Glaub mir, die nächste wird sehr viel leichter.“

Alle guten Dinge sind drei? Carina gab mir nochmal Feuer. Ich nahm einen etwas mutigeren Zug, stieß das erste Mal sichtbar Rauch in ihre Richtung. Und sie hatte in einem Punkt recht, es ging mir schon etwas leichter von der Hand. Ihr Telefon ging, ich glaube es war ihre Mutter. Sie verließ die Küche.

Aus Pflichtbewusstsein wegen der Wette und aus Neugier nahm ich mir die in den Aschenbecher abgelegte Zigarette nochmal an mich. Klopfte die Asche ab und nahm nochmal drei weitere Züge. Carina kam wieder, sah mich gerade den letzten Zug ausblasen. Ich war erstaunt wie schnell es zumindest halbwegs erträglich wurde, auch wenn ich nach Ausdrücken und der von Carina gewährten Pause nahezu Erleichterung empfand...

„Na siehst du. Gar nicht so schwer.“ An diesem Abend stanken meine Hände echt erbärmlich. Meine Hände, meine Haare, mein Top. Nach einer heißen Dusche und gründlichem Zähneputzen ging ich zu Bett, ohne so richtig realisiert zu haben, was hier passiert war. Mir war ziemlich schwindelig.

Ich erwachte am nächsten Morgen übermüdet und im Glauben, der Vorabend sei nur ein Traum gewesen, realisierte aber schnell, dass er das nicht war. Ich hatte tatsächlich drei Zigaretten geraucht (okay, zwei davon gepafft, dennoch). Ich. Isabel. Mit 22, wie konnte das passieren... aber es half nichts mehr, es war passiert und nicht mehr rückgängig zu machen. Am Morgen rauchte Carina stets ihre erste, mich am meisten nervende Zigarette – zu dem Zeitpunkt für mich unvorstellbar, wie sowas mit das erste sein konnte, das ein Mensch tut. Die Wette war aber gesetzt, ich solle mit ihr rauchen, also gehörte auch diese Zigarette kurz nach dem Frühstück mit dazu. Ich schob tapfer alle Ängste, ich müsste mich übergeben, so kurz nach dem Essen, beiseite.

„Gibst du mir auch eine?“, fragte ich sie, scheinbar zu ihrem Erstaunen, aber ich bekam nochmal eine von ihren Zigaretten. „Mh-mh“ blockte ich mit dem Glimmstängel im Mund ab, als sie mir Feuer geben wollte. „Auch das muss ich jetzt lernen oder?“. Ich nahm das Feuerzeug selbst in die Hand, schielte auf die Spitze der Zigarette und zündete diese nach drei Versuchen endlich an. Immer noch vorsichtig nahm ich einen etwas tieferen Zug, blies ein kleines bisschen Rauch in Carinas Richtung. Da stand ich nun bei ihr, die Kippe schon zwischen den Fingern haltend wie eine „richtige Raucherin“, wie sie es nannte. Auch Carina steckte sich ihre Zigarette an.

„Gefällt es dir jetzt besser?“, wollte sie wissen. „Sei nicht albern...“, meinte ich zu ihr. Ich zog nochmal, und auch nochmal etwas tiefer. „Sieht aber so aus“, meinte sie lächelnd und ging aus der Küche. Carina hatte ihre Kippe in schnellen Zügen geraucht und bei einem Drittel Länge ausgedrückt. Ziemliche Geldverschwendung. Das war aber auch Grund genug für mich, meine Zigarette nach einem weiteren Zug auszudrücken. Mit einem Gefühl, das ich nicht einzuordnen wusste, machte auch ich mich fertig für die Uni.

Als wir beide an diesem Tag spät nachmittags heim kamen und ich ihr gerade mit dem Verräumen der Einkäufe geholfen hatte, warf mir Carina ein „Geschenk“ zu: Eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug gleich hinterher. „So musst du nicht immer bei mir schnorren.“, meinte sie. „Dankend“ nahm ich an.

„Ich rauch' jetzt eine, machst du mit?“, wollte sie von mir wissen.
„Wir haben doch heute schon, und ich [...]“, sie unterbrach mich gleich:
„Es ist doch nur fair, wenn du nicht nur einmal am Tag rauchst, sondern natürlich, oder? Wenn du beweisen möchtest, wie leicht man das Rauchen aufhören kann...“
„Schon gut, schon gut...“, erwiderte ich.

Das erste Mal 'ne Schachtel Sargnägel selber von der Folie befreien hatte noch einmal etwas befremdliches, weil so absurdes für mich. Fast wie im falschen Film und doch triggerte es mich. Die erste eigene, von insgesamt 20 Zigaretten entnommen und schnell zwischen die Lippen gelegt, gab ich erstmal meiner „Rauch-Schwester“ Feuer, ehe ich meine – dieses Mal beim ersten Versuch – zum Glimmen brachte. Ich nahm einen Zug und blies ihn kurzerhand gen Deckenlampe.

„Siehst du, das wird immer natürlicher.“, meinte sie, mich beim Rauchen gebannt anblickend.
„Du guckst so als wärst du verknallt in mich“, meinte ich trocken, ehe ich nochmal tiefer zog. Ich warf ihr einen möglichst angewiderten Blick zu.
„Verknallt nicht, aber fasziniert. Ausgerechnet du und Rauchen.“
„Bald ja nicht mehr. Und du dann auch nicht mehr, hab ich recht?“

Carina schwieg, ich schwieg. Nach zwei weiteren Zügen drückte ich diese Zigarette aus. Carina meinte, ich solle doch die Zigaretten einfach morgen mit in die Uni nehmen. Mit Kommilitonen rauchen, sehen, wie man sich als Raucherin in Gesellschaft fühlt. Ich war gereizt. Nix da: Von dieser völlig bescheuerten Wette bekämen weder meine Kommilitonen noch meine Freunde noch sonst irgendwer mit. Das blieb ein – am Ende lehrendes – Geheimnis zwischen ihr und mir. „In der Uni haben die Kippen nichts, aber auch gar nichts verloren!“, keifte ich ihr entgegen.

Den Tag drauf musste ich deutlich früher aufstehen als sonst, was ich Carina auch mitteilte. Als sie morgens trotzdem nicht erschien, verließ ich das Haus, ohne mit ihr zu rauchen und die Zigaretten ließ ich auch demonstrativ auf dem Tisch liegen. Allein wird nicht geraucht, das war mein eigener, fester Standpunkt. Beruhigend und erholsam, den ganzen Tag nichts damit zu tun zu haben.

Am späten Nachmittag wurde ich natürlich von ihr drauf angesprochen.

Sie: „Also hast du morgens nicht geraucht?“
Ich: „Nope.“
Sie: „Und in der Uni dann wohl auch nicht.“
Ich: „Richtig, wie ich es dir gesagt hatte. Es wird definitiv nur hier geraucht.“

Ich sah mich hierbei im Recht. Carina war jedoch immer gut im Argumentieren und Überzeugen. Es ginge nicht darum, zusammen zu rauchen, sondern dass ich rauche – drei Wochen lang. Da hatte sie recht, das war ihre Aussage, und das war es, in das ich für die Wette einwilligte...

Ich griff zu meiner Schachtel und steckte mir eine an, Carina setzte sich dazu. Diese Zigarette konnte ich wie die davor auch ganz ohne Probleme rauchen, kein einziges Mal mehr musste ich husten. Ich wollte gerade aufstehen, als ich zurückgehalten wurde. „Weil du heute Morgen geschwänzt hast, rauchst du bitte jetzt eine zweite...“.

Ich verdrehte die Augen, warf ihr einen bösen Blick zu. Dennoch willigte ich ein. „Die eine wird mich schon nicht umbringen...“ Ich ließ ich mir nochmal Feuer geben. Wir wir rauchend da standen blickte ich dem Rauch vor der Deckenlampe hinterher. Wo zieht das ganze Zeug hin...? Warum wir mir beim Einziehen kein bestialischer Gestank aufgefallen? Ich dachte mir, wer sich so von Carina zuqualmen lässt, hat Glück, ein paar Atemzüge durch einen Filter nehmen zu können. Ich blickte auf den Filter zwischen meinen Fingern und empfand den Anblick noch immer unglaublich, unglaubwürdig. Es war echt, sah aber aus wie eine böswillige Fotomontage... dennoch brachte ich tapfer auch diese Kippe Zug um Zug hinter mich. Danach fühlte ich mich eigenartig, auf seltsame Weise gar "zufrieden". Ich lernte noch für die Uni und ging recht früh zu Bett.

Tag vier fing an, wie Tag zwei. Wir waren wieder beide parallel auf. „Bringen wir's hinter uns.“, meinte ich zu ihr, zündete mir meine Kippe nach dem Frühstück an. Ich nahm einen Zug, lehnte mich mit geschlossenen Augen zurück. „Puh, wie im Rausch...“, meinte ich.

„Süße, du bist jetzt an dem Punkt, an dem sich dein Körper an das Nikotin gewöhnt hat. In dieser frühen Phase fühlt sich das Rauchen noch besonders gut an“.

„Wahrscheinlich“, flüsterte ich geistesabwesend. Ich tippte die Asche ab und nahm meinen bis dahin wohl tiefsten Zug. Ich war kurz davor, heftig zu husten, wehrte mich aber dagegen und stieß stattdessen beim ausatmen einen gewaltigen Rauchschwall aus. Carina konnte sich nur wundern.

„Wow, übertreib' es nicht, Isabel... das sind nicht die letzten Zigaretten auf der Welt“, meinte sie lachend. Wieder diese beschissene Begeisterung in den Augen. „Wie geht’s dir jetzt?“, wollte sie wissen. „Mir geht’s gut, danke“, meinte ich genervt und machte mich erschrocken über mich selbst uni-fertig. „Die bleiben hier!“, fuhr ich Carina an, als sie mir meine Zigaretten für die Uni geben wollte...

An diesem Nachmittag blieb ich mir selbst treu. Carina bot mir eine Zigarette an, aber ich lehnte entschieden ab und ließ auch nicht mit mir diskutieren. Wir redeten den Abend nicht mehr viel miteinander. Ich las später am Notebook Storys über prominente Raucher, sah mir später abends auch Bilder rauchender Frauen in der Kunst an. Ja okay: Rauchen konnte was ästhetisches haben. Es kann geheimnisvoll, „verwegen“ wirken und Kontraste setzen – aber dafür Unsummen Geld ausgeben und seine Gesundheit ruinieren...? Nein, das war nicht ich und so traf ich zumindest für diesen Moment geltend eine Entscheidung bezüglich der Wette.

Carina sprach mich am nächsten Morgen (Tag 5) natürlich wieder drauf an. Wir hätten eine Wette, die sie annullieren würde, sollte ich nicht mehr rauchen. Sie steckte sich ihre Kippe an und forderte mich auf, es ihr gleich zu tun. Ich blickte abwechselnd zu ihr und zu meinen Zigaretten, kurz davor, das ganze Experiment abzubrechen, weil es mir das ganze nicht mehr wert schien. „Wenn du die Sache durchziehst, und in zwei Wochen sofort aufhörst, hör ich es auch sofort auf, ich versprech's dir hoch und heilig. Und ich tue dir noch einen Gefallen. Ich bezahle dir alle Zigaretten für diese paar Wochen.“
Ich ließ mich bei ihr nieder, griff nach meiner Schachtel auf dem Tisch. „Na komm schon...“. Sie hatte mich erfolgreich bequatscht. Ich wollte hier nicht „aufgeben“, sie sollte später einfach zu ihrem Wort stehen und aufhören. Ich ließ mir von ihr Feuer geben und nahm einen tiefen Zug. Ein lieblicher Schwindel setzte ein, ich lehnte mich zurück, schloss die Augen. „Es gefällt dir doch eh inzwischen.“, meinte sie. „Mach dich nicht lächerlich.“, flüstere ich ihr entgegen. „Doch, doch... finde dich damit ab, dass du das Rauchen angefangen hast. Du möchtest gar nicht mehr aufhören.“ Nichts sagend blies ich meinen Rauch direkt in ihr Gesicht, drückte die Kippe aus und ging.

Der Tag in der Uni war lang und anstrengend. Nachmittags wieder ihr übliches Angebot. Ich nickte und nahm ohne jedes Zögern an. Mit dem ersten tiefen Zug legte sich ein wohliges Druckgefühl auf meine Brust. „Das tut gut...“, dachte ich erschrocken von mir selbst. Noch ein Zug und ich blies eine riesige Menge Rauch aus – endgültig auf dem Niveau von Carina, die mich wieder mal nur anlächelte. Wir quatschten länger und als sie mir ihre Schachtel herüber schob, nahm ich mir, als sei's das normalste für mich, eine weitere Zigarette und sie gab mir Feuer – rauchte selber aber keine. Das Rollo war noch nicht heruntergefahren und durch das Licht im Raum spiegelte ich mich, sah mich das erste Mal wirklich selbst an der Zigarette ziehen... ach Isabel, das durfte doch nicht sein. Und doch war es real. Es war jedoch so falsch, so verboten, widersprüchlich und... befriedigend irrational? War ich so verkopft, dass etwas schändliches wie Rauchen die emotionale Seite in mir triggerte?

Ein ruhiges Wochenende stand an, aber kein „Urlaub“ von der Wette. „Das ist doch jetzt sicher deine vierte Zigarette heute, oder?“, fragte mich Carina am Nachmittag auf der Terrasse. „Kann schon sein“, meinte ich. Sie hatte recht. „Sind vier pro Tag für dich natürlich genug?“, wollte ich wissen. Sie bejahte. Auch am Sonntag hielt ich mich an diese Menge. Als ich abends vor dem TV nach dem Anstecken einen tiefen Zug nahm, packte mich die Neugier und ich nahm mutig direkt noch einen Zug hinterher. Anschließend stieß ich eine erschreckend große Menge Rauch aus, worüber Carina wieder nur begeistert staunte. „Wow...“, meinte sie. Der Qualm bildete bizarre, schöne Muster am Deckenlicht. Wir lächelten uns an. Lüge ich sie an, mich selbst, uns beide, wenn ich noch schlecht über Raucher oder über's Rauchen selbst rede?

Eine Woche war ich nun unter den Raucherinnen. Am Montag nahm ich die Zigaretten mit in die Uni. Nach dem ersten Vorlesungsblock gesellte ich mich unters Vordach zu den anderen Rauchern. Ein ungewohntes Gefühl, hier zu verweilen, wo ich letzte Woche noch angewidert schnell hier durch huschte. Ich spielte mit dem Gedanken, jetzt auch eine zu rauchen, traute mich aber nicht, weil ich nicht wusste, wer mich sehen könnte. Später in einer größeren Pause zwischen der Vormittags- und Nachmittagsveranstaltung bekam ich Lust und schlich hinter die große Sporthalle wie ein Teenager.

Was tat ich hier gerade? Warum nur musste das so aufregend verboten sein? Ich kramte meine Zigarettenschachtel hervor, aber hielt inne. „Was ist los mit mir? Ich möchte doch Ärztin werden, wie kann mir dieser Mist gefallen...? Es kann mir nicht gefallen, es darf mir nicht gefallen...“.

Ich dachte angestrengt an unsere Wette. „Es ist alles eine Gewöhnungs- und Kopfsache. Ich werd's nach den drei Wochen lassen aber bis dahin werde ich meine Rolle ehrlich spielen...“. Mit der perfekten Ausrede zog ich zitternd eine Zigarette aus der Schachtel hervor, mit dem Gefühl im Nacken, eventuell erwischt zu werden. Ich steckte mir die Kippe an und nahm einen langsamen und tiefen Zug. Mein Herz klopfte in dem Moment, ich fühlte mich fast wie verliebt... „Das tut gut“, dachte ich und stieß eine riesige Menge Rauch aus.

Auch Dienstags hatte ich die Zigaretten mit in die Uni genommen. Diesmal ignorierte ich die Bedenken, stellte mich in der Pause einfach irgendwo hin und steckte mir eine Zigarette an. Das erste Mal „öffentlich“ rauchen! Wow. Weil gar nichts passiert war, mir niemand auf die Schliche kam, machte ich den gleichen Stopp noch zwei Mal an diesem Tag und rauchte, ohne mir Gedanken zu machen. Als ich nachmittags in der Wohnung feststellte, dass ich keine Kippen mehr hatte und Carina gerade beim Rauchen sah, fragte ich sie nach einer Zigarette. Carina lächelte und gab mir eine ab. „Danke dir“, meinte ich lächelnd, steckte mir die Kippe an, nahm einen tiefen Zug. „Du, ich hab übrigens keine mehr...“. Auf Carinas Kosten ging ich mir an dem Tag neue kaufen.

Auf dem Weg zum Automaten kämpfte ich wieder mit Konflikten: „Was soll ich später Patienten sagen? Die Dosis macht das Gift? Ich darf, weil ich die Risiken kenne? Müssen es meine Patienten überhaupt erfahren...?“ Drehte ich denn jetzt völlig frei? Wir reden hier doch nicht von „später“, denn in zwei Wochen ist doch alles vorbei... ganz sicher. Ganz sicher? Die Schachtel fiel aus dem Automaten, ich blickte mich um. Bitte erkenne mich jetzt keine Verwandtschaft.

Diese zweite Woche und die dritte rauchte ich hier und da, ohne, dass Carina sie es kontrollierte. Auch in den Pausen in der Uni rauchte ich immer wieder mal. Es hatte sich mit den Tagen völlig normalisiert für mich. Anfang der dritten Woche gab mir Carina nochmal das Geld für eine Schachtel. Das Wort „Wette“ fiel glaube ich irgendwann am Ende der der zweiten Woche das letzte Mal. Was ist denn auch ehrlicherweise so schlimm daran, wenn man etwas neues für sich entdeckt, das einem gefällt? Darf man Meinungen und Einstellungen nicht ändern? Geht es immer darum, recht zu haben...?

Inzwischen ist die ganze Sache zwei Monate her. Ich habe mich mit allem arrangiert und meinen Frieden gemacht. Mich stört der Rauch in der Wohnung nun nicht mehr, da ich selbst gelegentlich rauche. Nicht allzu viel, im Schnitt vielleicht vier bis sechs Zigaretten am Tag. Carina hat hierüber nie Hohn oder Spott geübt. Danke Carina, du bist die Beste. Meine Eltern und meine Schwester wissen nichts davon. So soll es bleiben. Und bis ich Ärztin bin? Naja, vielleicht höre ich es bis dahin auf? Vielleicht auch nicht... das geht nur mich etwas an.

Eine Kommilitonin von mir, Saskia, ebenfalls eine sehr militante Nichtraucherin und meine „Bestie“ war sehr enttäuscht, als sie mich neulich das erste mal mit Zigarette „erwischte“. Ihr sagte ich nicht, dass ich erst seit kurzem überhaupt rauchte, sondern dass ich es „wieder angefangen“ hätte. Ich musste mir viel vorwerfen lassen. Wie jemand wie ich, der so entschieden dagegen war, es jetzt (wieder) selbst tun könne. Saskia hält es für dumm, findet es traurig, wie sehr meine Einstellung zum Rauchen meinem Verhalten widerspricht...

„Wenn man selbst nie geraucht hat, dann vermisst man nichts.“, sagte ich ihr neulich auf eine sorgenvollen Bitte von ihr, ich solle es doch einfach lassen. Saskia glaubt, man könne es doch „einfach“ sein lassen. Wir sind heute verabredet, ich habe ihr ein Experiment vorgeschlagen. Drei Wochen soll sie mit mir rauchen und es dann von jetzt auf gleich bleiben lassen. Saskia ist sehr selbstbewusst, sie hat zugestimmt. Die erste Zigarette wird sie von mir bekommen.


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20.06.2023 10:23
avatar  BJM
#2
BJ
BJM

Also Malcolm, ich finde diese Geschichte sehr schön, sie ist sehr einfühlsam geschrieben. Man merkt meiner Meinung nach kaum, dass du kein geübter Schreiber bist, du hast dir auf jeden Fall viel Mühe gegeben. Was man noch hätte tun können, wäre eine nähere Beschreibung der Figuren. Du überlässt das schon sehr stark der Vorstellungskraft des Lesers. Ansonsten kann ich wenig anmerken.

Daher Vielen Dank für diese Geschichte


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21.06.2023 17:36
#3
avatar

Echt lesenswerte Story und auch das Ende kommt gut. Danke dafür!


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21.06.2023 18:28
avatar  Malcolm
#4
Ma

Euch beiden schon mal vielen Dank. Den Kritikpunkt der mageren Charakter-Skizzierung nehme ich voll und ganz an, das stimmt schon. Man hat da immer seine eigenen Traumbilder im Kopf, vergisst aber schnell, sie zu beschreiben... nächstes Mal!


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22.06.2023 14:27
avatar  Chris
#5
Ch

Tolle Geschichte. Freue mich schon auf die Fortsetzung!


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22.06.2023 19:39
avatar  Malcolm
#6
Ma

Danke auch dir @Chris, aber vorgesehen war das ganze bisher nicht als Mehrteiler :) Das Ende ist extra recht subtil aber doch offensichtlich. Kann natürlich das Ganze noch aus Sicht der fiktiven Saskia schreiben, aber dann ist die Ausgangslage gleich wie bei der Ursprungsgeschichte, vielleicht also ein bisschen "abgestanden"... aber ich schau mal.


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